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Martta Kaukonen : Traumatisiert
('Ira'-Reihe, Bd.2)

Buchbesprechung von Bettina Dauch, April 2025

dt. Erstausgabe: 2025 - Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe, München
finn. Originalausgabe: 2023 - Werner Söderström Ltd. (WSOY), Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Hengissä"
aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara
Wir schreiben das Jahr 2023. Vier Jahre nach den Geschehnissen des Romans Therapiert nimmt uns die mittlerweile 24-jährige Ira erneut mit auf eine Reise durch ihre außergewöhnliche Gedankenwelt. Sie und Arto haben inzwischen beschlossen, zusammen zu wohnen. Sie unterstützen sich gegenseitig, können sich aber über die schwierigen Themen der Vergangenheit nicht offen austauschen. Von Anfang an wird immer wieder angedeutet, dass in Kürze etwas schief gehen wird. In Traumatisiert kommen statt vier nur noch drei Personen zu Wort.

Eine davon ist ein neuer Charakter, die Kommissarin Kerttu Leppänen, die auf der Schwelle zur Pensionierung steht, aber von ihrem Chef für einen wichtigen Fall zurückgehalten wird. Am Tatort eines Mordes wurde das Tagebuch eines Serienmörders geborgen und Kerttu wird mit dessen Auswertung beauftragt. Zu ihren untergebenen Kollegen zählen Hauptmeister Ala-Ylälä und Kommissar Koivuvyö, zu dem sie ein etwas ambivalentes Verhältnis hat. Die Figur Kerttu soll wohl vor allem verdeutlichen, wie Frauen gerade in ihrem Tätigkeitsbereich immer wieder mit Geschlechterklischees und starren Geschlechterbildern konfrontiert werden und anecken: Zum einen hat sie sich in ihrer Laufbahn wiederholt anhören müssen, Polizist sei kein Frauenberuf, und musste sich daher schon immer mehr anstrengen als die männlichen Kollegen. Auch als ihr ein Missgeschick passiert, wird sie umgehend entsprechend in den Medien verrissen. Zum anderen wird thematisiert, dass man bei einem Serienmörder stillschweigend davon ausgeht, dass es sich um einen Mann handeln muss, da dies statistisch wahrscheinlicher ist. Kerttu möchte auch einen weiblichen Mörder in Betracht ziehen und muss hart dafür kämpfen, dass diese Spur von ihrem Team verfolgt wird. Über ihr Privatleben erfährt man nicht allzu viel. Sie erwähnt ihren besten Freund Esko, mit dem sie seit der Grundschule befreundet ist, und erzählt von einigen gemeinsamen Erinnerungen. Mit Arto hatte sie auch schon früher Kontakt und ruft diesen nun an, um ihn zu bitten, Auszüge aus dem Tagebuch in der Zeitung zu veröffentlichen, da sie sich davon Hinweise auf den Täter erhofft. Die Aktion wird ein peinlicher Flop und Kerttu wird vom Dienst suspendiert. Nur Koivuvyö zeigt sich noch solidarisch.

Der aus dem ersten Band bereits bekannte Arto kommt auch in diesem Buch zu Wort. Er spioniert heimlich Iras Zimmer aus und sucht nach spitzen Gegenständen, da er nicht glaubt, dass sie mit dem Ritzen aufgehört oder sämtliche Suizidgedanken aufgegeben hat. Er selbst hat Alkoholprobleme und schon mitbekommen, dass Ira ebenfalls sein Zimmer heimlich auf Flaschen durchsucht. Früher hat er längere Zeit für die größte Tageszeitung Helsinkis gearbeitet und sich nach einer Pause nun wieder dort einstellen lassen, diesmal zusammen mit Ira als Praktikantin. Er erzählt von seinen teilweise quälenden Gedanken und den Sorgen um Ira, aber auch von vergangenen Ereignissen, die ihn in den Alkoholismus getrieben haben. Am neuen Arbeitsplatz ist es etwas trostlos, die Kollegen sind eher distanziert. Er und Ira sollen für die Zeitung vor allem Fünf-Zeilen-Nachrichten über langweilige Todesfälle schreiben. Als Arto mitbekommt, wie Ira sich über eine private SMS zu freuen scheint, spekuliert er hoffnungsvoll, dass es sich um eine Romanze handeln und ihr endlich wieder jemand wichtig sein könnte. Irgendwann bekommt er selbst eine SMS von einer mysteriösen Person, die er eigentlich blockiert hatte, da er sie um jeden Preis loswerden wollte. Aber nun kontaktiert sie ihn wieder - wer ist die rätselhafte Frau, die nun droht, ihn wieder in ihren Bann zu ziehen? Später erzählt Arto, wie er sich in ein Pflegeheim begibt, um jemanden für eine Reportage zu interviewen. Hier verliert man als Leser plötzlich das Zeitgefühl...

Am häufigsten kommt abermals Ira zu Wort: Sie schildert, wie sie jemanden ermordet, und prahlt mit den bereits begangenen Morden. Sie beschreibt weitere Taten und lässt mehrfach verlauten, dass sie jeweils "gerufen" wurde, um diese Aufgaben zu erfüllen. Die Morde sind wie Aufträge und sie ist hin- und hergerissen zwischen ihrem Sadismus und dem Bedürfnis, wieder ein richtiger Mensch zu werden. Sie erzählt viel von ihren Träumen und Gedanken. Auch davon, wie sie ihrer Therapeutin Clarissa damals vertraut hat. Heute reden die Leute über sie, die 'Therapie-Ira', sie wird zu Auftritten und Podcast-Interviews eingeladen. Sie ist missbraucht worden und wird von der Gesellschaft immer wieder daran erinnert, wodurch es ihr noch schwerer gemacht wird, in eine Art Normalität zurückzukehren. Sie erwähnt einige der typischen Fünf-Zeilen-Todesfälle der Helsinkier Zeitung - Obdachlose, Alkohol- und Drogenabhängige - und spekuliert, dass doch auch versteckte Mordfälle darunter sein könnten. Als sie wieder eine SMS von der geheimnisvollen Person erhält, wird deren Identität bald enthüllt und die Handlung nimmt mehr Fahrt auf; die Ereignisse überschlagen und die Informationen verdichten sich plötzlich, als Schlag auf Schlag Dinge und Zusammenhänge herauskommen, mit denen man nicht gerechnet hat...

Der Schreibstil Kaukonens bzw. dessen deutsche Übersetzung liest sich flüssig und durchgehend spannend. Als man schon gar nicht mehr damit rechnet, wird man auch diesmal mit einer unerwarteten Wendung überrascht. Einziges Manko sind zwei bis drei unglückliche denglische Satzkonstruktionen. Die Geschichte wurde wieder in handlich kurze Kapitel unterteilt. Im Vergleich zum ersten Band ist die Fortsetzung kürzer, es kommen weniger Personen vor und das erste Buch war auch insgesamt vielseitiger, reichhaltiger und tiefer. Dennoch lohnt sich die Lektüre von Traumatisiert - mit oder ohne Vorkenntnis des Vorgängers. Wer beide Teile lesen möchte, sollte jedoch unbedingt mit Therapiert anfangen, da die Werke klar aufeinander aufbauen. Es ist hilfreich, zu Beginn dieses Bandes schon etwas mit den Hintergründen vertraut zu sein. Andererseits kann ein ganz frischer Einstieg in das neuere Buch gerade durch das Fehlen dieser Vorkenntnisse eine höhere Spannung bieten, die den Leser in noch weiterer Hinsicht eine ganze Weile im Dunkeln tappen lässt. Die wirklich relevanten vergangenen Ereignisse werden in Rückblenden eingebaut.

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